Montag, 2. Dezember 2013

01.12.2013, Ausflug nach Holeta


Heute ist Sonntag. Vor einer Woche habe ich gerade gepackt und war in totalem Reisefieber. Nun bin ich den 6. Tag hier, es reiht sich ein Erlebnis nach dem anderen. Heute ein Ausflug nach Holeta zu Asni‘s (Franks Frau) Eltern und Geschwistern geplant.
Die Fahrt raus führt in die Randlagen von Addis, durch ein Naturschutzgebiet und ein gutes Stück raus. Doch der Reihe nach:
Addis Abeba wächst, und das ziemlich schnell. Dort wo vor wenigen Jahren noch Bäume standen sind heute Straßen, Wellblechhütten und sozialer Wohnbau. Überall Bautätigkeit, wo man geht und steht. Man muss fast aufpassen nicht eingemauert zu werden, so schnell geht das! Die Müllkippe von Addis Abeba war mit Sicherheit mal außerhalb der Stadt, jetzt stehen Häuser bis an die Müllkippe heran und nach der Müllkippe folgen wieder Wellblechhütten und Bebauung. Auf der Müllkippe sehe ich Müllmenschen, sie trennen den Müll und leben von dem was andere wegschmeißen. Da die Menschen in Addis Abeba aber überwiegend nicht reich sind dürfte das schon nicht üppig sein.
Auch auf der Müllkippe sehe ich große Vögel, der Name mag mir nicht einfallen, aber ich habe sie im Kölner Zoo schon mal gesehen. Hässliche Teile auf jeden Fall.
Noch mitten in Addis Abeba hört plötzlich die Straße auf. Ein Kreisverkehr ist einfach nicht fertig gestellt, alle 4 Straßen die dort hin führen sind gut geteert, bloß der Kreisverkehr… Er ist dermaßen holprig, dass ich mit meinem Polo wahrscheinlich nicht durch käme.
Kurz bevor wir Addis Abeba verlassen durchqueren wir ein offensichtlich von Moslems bewohntes Viertel. Kleidung und Aussehen der Leute und die Präsenz von kleinen Moscheen weisen darauf hin. Im direkten Umfeld von Addis ist alles ziemlich kahl, dort befanden sich mal Eukalyptusbäume. Eukalyptus ist ein hartes und zähes Holz, es wird u.a. für Baugerüste, als Bauholz und als Brennmaterial verwendet. Die große Bautätigkeit verlangt nach Baugerüsten, die Leute verdienen sich gern den ein oder anderen Birr und so werden die Bäume halt kurz gemacht. Und das in einer solchen Menge, dass es gar nicht so schnell nach wachsen kann.
Nach einigen Kilometern wird es grüner, hier beginnt der Menengescha Nationalpark. Frank bedeutet mir die Augen offen zu halten, hier bekommt man mit etwas Glück Affen – Meerkatzen und Paviane - zu Gesicht. Wir hatten das Glück leider nicht. Vermutlich weil wegen Sonntag doch einige Leute unterwegs sind.
Nach einer Weile Fahrt kommen wir durch mehrere Dörfchen, an etlichen neu erstellten Lagerhallen und an großen Blumenaufzuchthallen vorbei nach Holeta. Kurz vorher zeigt Frank mir ein „Neubaugebiet“ und lacht. Auf einer Wiese stehen ein paar wenige kleine Hütten. Ein merkwürdiges Bild, so völlig unerwartet und ohne Schutz stehen die Häuser da.
Holeta ist ein Dorf mit ein paar tausend Einwohnern, Franks Einsatzort und Asni‘s Geburtsort. Viele Menschen aus dem Dorf arbeiten in der Blumenaufzucht und als Arbeiter für das Militär und das College. Es macht einen lebendigen Eindruck, ein Geschäft reiht sich an das nächste.
Wir treffen bei den Eltern ein. Das kleine grün gestrichene Haus sieht von vorne recht schmal aus. Laut Frank ist dies eine Mittelschicht-Behausung. Noch als wir aus dem Auto aussteigen kommt ein junger Mann durch das Gartentor – einer der Brüder von Asni. Frank lädt Gepäck aus – Kleidung für alle aus einer Kleiderspende und einen Kinderwagen für das Jüngste von einem Bruder. Wir werden zusammen in das Haus gebeten. Natürlich begrüßen die Eltern ihre Tochter sehr herzlich, Frank als ihren Schwiegersohn ebenso aber auch ich werde sehr freundschaftlich begrüßt.
Zur Begrüßung in Äthiopien: Im Gegensatz zu Deutschland wo es entweder den höflichen Händedruck oder gleich die völlig übertriebene Umarmung gibt sind die Äthiopier recht differenziert: Auch hier gibt es den höflichen Händedruck, der ganz fremd eher als Berührung der Handflächen ausfällt und bei etwas Bekanntschaft fester ausfallen kann. Wer noch mehr Bekanntschaft pflegt, der legt die zweite Hand auf die gedrückten Hände, bei noch mehr Bekanntschaft rückt die zweite Hand hoch zur Schulter. Das kann man noch mehr steigern, jetzt kommen wir schon zum Freundschafts- oder herzlich Willkommensstatus: Männer schlagen die Hände ein und die rechten Schultern berühren sich. Man klopft sich auf die Schultern. Wenn’s dann noch mehr sein darf, dann berühren sich die Köpfe seitlich, die allerhöchste Würde empfängt man, wenn die Gesichter im Halsbereich an der Seite vergraben werden. Frauen geben sich Küsschen auf die Wange, je mehr desto doller. Asni und ihre Jugendfreundin kamen auf 5 oder 6 Küsschen. Asni und ihre Mutter haben auch einige Küsschen auf die Wange gewechselt und am Schluss eben auch die ganz intime Begrüßung, das Vergraben des Gesichts im Halsbereich seitlich mit Kuss an den Hals.
Ich werde sofort akzeptiert, die Verständigung funktioniert nur über Asni, die alles dolmetschen muss, weil alle nur Amharisch sprechen. Im „Wohnzimmer“ kommen wir zusammen.
Wohnzimmer: Nun ja, der Raum misst etwa 3x4m. Er hat eine Tür nach draußen und einen Durchgang zu einem Flur zu weiteren Räumen, die mir aber vorenthalten bleiben, der Durchgang ist mit einem Vorhang bedeckt. Kein Fenster. Die Wand ist ziemlich uneben, ich kann das Material nicht bestimmen, komplett gelb lackiert. In dem Raum – wohlgemerkt etwa 3x4m – befinden sich: Ein Tisch mit 6 Stühlen, ein 3er- und ein 2er-Sofa, ein Sessel, ein Couchtisch, ein sehr einfaches Sideboard mit dem Kaffeeservice drin, ein Schränkchen mit einem Fernseher drauf. Der Fernseher läuft, aber das interessiert keinen direkt. Wichtig ist aber dass er läuft. An der Decke hängt eine Lampe mit einer Energiesparbirne. An den eher kahlen Wänden fällt sofort ein Plakat auf: Jesus never let you alone. Schon bei der Begrüßung tauchen Nachbarkinder auf, die bekommen jeder eine Mini-Tüte Haribos. Nach und nach kommen immer mehr junge Männer herein, alle Asnis Brüder. So wird die Bude doch ziemlich voll. Wir sitzen noch nicht ganz, dann haben Frank und ich schon Bier in der Hand, St. Georg-Bier. Asnis Mutter fängt umgehend mit der Kaffeezeremonie an, der erste Schritt besteht aus dem Rösten des Kaffee. Der Holzkohleofen wird in eben dem Wohnzimmer aufgestellt. Ich mache mir eigentlich ein wenig Sorgen wegen Sauerstoff und Kohlenmonoxyd und so, aber da alle anderen ziemlich sorglos sind überlasse ich mich einfach meinem Schicksal und hoffe, dass ich nicht als erster ersticke und mich ggf. mit einem beherzten Satz nach draußen retten kann. So weit kommt es aber gar nicht, der Ofen stellt wohl kein Problem dar. Die Kaffeebohnen werden langsam braun und landen danach in einer Pfanne. Plötzlich heißt es Mittagessen. Schwuppdiwupp stehen Injera mit 4erlei Zutat auf dem Tisch. Es wird eine Schüssel und eine Kanne Wasser vom jüngeren Bruder herumgereicht, vorm Essen wird die rechte Hand gewaschen.   Der Vater und Patriarch bekommt als erster Essen, dann die Gäste. Frank ist etwas ranghöhere männliche Gast, dann ich, dann Asni und dann die Söhne in der Altersreihenfolge. Allerdings passen nicht alle an den Tisch, also isst erstmal nur der älteste anwesende Sohn mit. Nachdem wir fertig gegessen haben können die anderen essen, die Mutter isst als letzte. Injera wird auseinandergezupft und mit den abgezupften Teilen werden die Zutaten gegriffen und zum Mund geführt, natürlich mit der gewaschenen rechten Hand. Irgendwie versinke ich im Chaos und bevor mein ganzer Injera-Fladen in der Beilagensoße untergeht erhalte ich den guten Tipp, die Injera-Rolle mit der Linken zu halten, von dort abzureißen und die Beilagen, die auf einer Grundplatte Injera liegen, aufzuheben. Die Grundplatte matscht durch, aber das ist normal. Die Finger bleiben zumindest relativ sauber.
Nach dem Essen geht es zurück an den Couchtisch, der Kaffee wird fertig. Frank verrät mir, dass hier der beste Kaffee auf uns wartet. In der Tat erhalte ich eine kleine Tasse mit etwa 1,5 Teelöffeln Zucker gesüßten Kaffee aus dem Tonkrug. Es ist eine fast cremige schwarze Flüssigkeit, überhaupt nicht bitter und mit leichter Zimt-Note. Gerne nehme ich nach, sehr zum Vergnügen meiner Gastgeberin.
Nach der zweiten Tasse lädt Frank mich ein, seinen Arbeitsplatz nicht weit von Asnis Elternhaus zu besuchen. Gerne lasse ich mich in sein reich entführen. Als Netzwerker, Techniker und Dozent hat er ein Büro auf dem Campus des College, das zur Bildung von Studenten aber auch zur Fortbildung von Technikern dient. Es werden alle möglichen Techniksparten gelehrt: Kfz-Technik, div. Handwerke, Telekommunikation. Auf dem Campus befinden sich Wohnbereiche von Angestellten aber auch Studentenwohnheime, Mensa, Küche und ein Bauprojekt von Frank, eine Bibliothek. Alles ist eingebettet in eine Park- und Heideähnliche Landschaft, es ist heute auf Sonntag recht ruhig. Auf dem Gelände sehe ich wilde „Unzertrennliche“ (Agaporniden) sowie einen weiblichen Kolibri (Die eben grauschwarz gefiedert sind im Gegensatz zu den bunten Männchen). Nach dem Rundgang fahren Frank und ich mit dem Jeep noch einen Bogen durch das Dorf. Auch hier wie in Addis Abeba ein Geschäft nach dem anderen, in zweiter Reihe jede Menge Wohnhäuschen (Baracken aus Wellblech, aber auch Lehm- oder Steinbauten), einen Marktplatz mit Ständen aus Eukalyptusstangen, die heute leer sind. Markt ist immer nur Di und Do.
Am Ende des Dorfes sehen wir nochmal eine Blumenaufzuchtstation. Wir kehren nochmal kurz bei Asnis Eltern ein um aber gleich darauf die Rückfahrt nach Addis Abeba zu beginnen. Kaum haben wir Addis verlassen fallen die vielen Menschen am Straßenrand auf, fast alle haben gelbe oder orange Kanister dabei. Einige laufen unbeschwert in unsere Fahrtrichtung, die, die uns entgegenkommen schleppen offensichtlich schwerer. Sie sind auf dem Weg oder kommen von einer Wasserstelle. Die ist nicht mal eben um die Ecke, es sind gefühlte 2 km dort hin. Frank erläutert, dass in der Woche nochmal deutlich mehr Menschen die Straße säumen, sie laufen zur Arbeit in die Blumenhallen, vielleicht 4 – 5 km entfernt. Überhaupt, die Äthiopier gehen meistens, bei den geringen Löhnen sie können nicht einmal die Buspreise bezahlen, zumindest nicht regelmäßig.
Auf dem Rückweg über den gleichen Weg wie hin sehen wir leider wieder keine Affen. Das und andere Sachen holen wir später nach, wenn wir an einem anderen Tag Ausflüge ins offshore machen.
Ein erlebnisreicher Tag.

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